No10 Nils der Eisbär

Die Sonne stand bereits hoch am Himmel und die Fangnetze der Fischer lagen am Kai zum Trocknen aus. Es war ein guter Morgen mit einem satten Fang gewesen. Doch etwas war anders an diesem Tag in Cape Fairwill im Westen Grönlands. Trotz des Sonnenscheins lag Schwermut in der Luft. Nils, der kleine Eisbär, witterte das und fragte sich, was wohl die Ursache sein könnte. Er schlich sich zum Hafen und griff sich die Fische, die wegen der Unachtsamkeit der Männer aus dem Netz gepurzelt waren. Seine Mutter durfte das nicht wissen – sie hätte ihm sein weißes Fell über die Ohren gezogen! Wie alle kleinen Eisbären war auch Nils neugierig.

So neugierig, dass er der Schwermut, die sich wie ein Netz über den Hafen legte, auf die Schliche kam. Er belauschte ein Gespräch der Polarforscher: Heute sei der Tag des Abschieds gekommen, denn in den vergangenen 18 Monaten hätten sie viel über den Gesang der Wale herausgefunden und könnten nun die Heimreise nach Kanada antreten. Während die Fischer und Wirte die Nachricht vom Aufbruch des Forscherteams wehmütig hinnahmen, freuten sich jene bereits auf ihre Heimat. Sie schwärmten von den endlosen grünen Wäldern Kanadas, von tiefblauen, im Sommer warmen Seen und von den Braunbären.

Braunbären?! Was sollte denn das sein, fragte sich Nils. Er kannte nur die endlose Weite der weißen Eiswüste. Außer Thore, dem Walross, und Finn, der Ringelrobbe, hatte er keine Freunde. Und in Kanada sollte es braune Bären geben? Das ließ Nils nicht mehr los und er beschloss, sich auf das Schiff der Forscher zu schleichen, um das Geheimnis in Kanada zu lüften. Wenn es ihm dort nicht mehr gefallen sollte, dann würde er einfach in das nächste Forscherschiff nach Grönland steigen und die Standpauke seiner Mutter über sich ergehen lassen. Nach ein paar Wochen würde wohl alles wieder vergessen sein. So versteckte sich Nils in einer weißen Plastikbox, die in der Nähe des Forscherschiffes stand. Bereits nach wenigen Minuten ging es los: Seine Box wurde verladen – nur nicht auf das Schiff, sondern auf die Ladefläche eines Jeeps, der zum Flughafen der Stadt fuhr! Nils beschlich ein Gefühl von Ohnmacht und Angst. Viele, endlose Stunden kauerte er in seinem neuen Zuhause, der weißen Box, die ihn in ein fremdes Land bringen würde.

Als er aufwachte, traute er seinen Augen kaum. Vor der Box hatte sich bereits eine Menschentraube gebildet. Er hörte Worte, wie „Ist der süß!“ und „Komm, geben wir ihm ein neues Zuhause!“ – Ja, was soll ich sagen? Nils stand inmitten unseres Geschäftes und wusste nicht, dass er bei einem Modehändler gelandet war. Denn es war meine weiße Plastikbox, die ich unbeaufsichtigt am letzten Tag unseres Urlaubs im Hafen von Cape Fairwill stehen gelassen hatte! Und nun wollte Nils natürlich mehr sehen von unserem Land, bevor wir ihn, sofern er das wünschte, wieder nach Grönland zurückbrachten. Seine Mutter haben wir selbstverständlich über seinen Verbleib benachrichtigt. Die war vielleicht erleichtert!

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