No2 Der Traumfänger
Nacht für Nacht wälzte sich Kleine Feder schweißgebadet in seinem dicken Bärenfell. Während draußen der eisige Nordwind um die Zeltstadt des Stammes heulte, zitterte drinnen der kleine Indianer vor Angst. Das flackernde Feuer malte den Schatten des unruhig schlafenden Jungen an die Innenwand des Wigwams. Dabei wurde das harmonische Knistern der Feuerglut jäh vom Stöhnen des Indianerjungen unterbrochen, der sich ständig von einer Seite zur anderen drehte. Das weckte seine Mutter Schöner Abendmond.
Mit sorgenvoller Miene legte sie sich neben ihn und streichelte ihm sanft über den Kopf. Als am nächsten Morgen die Sonne durch den Zelteingang blinzelte, nahm sie ihren kleinen Sohn an der Hand und stapfte mit ihm durch den hohen Schnee. Der Medizinmann hörte das Knirschen des puderigen Schnees unter den Mokassins der beiden bereits von weitem. Als sie ihn um Einlass in sein Wigwam baten, hatte er schon drei Becher mit Kräutertee eingegossen.
Die Mutter erzählte mit zittriger Stimme vom unruhigen Schlaf ihres Sohnes. Nachdem ihm der Medizinmann tief in die dunkelbraunen Augen geblickt hatte, sagte er ruhig und bedächtig: „Es sind die bösen Geister, sie senden Kleiner Feder die bösen Träume, sie lassen ihn nachts nicht ruhen.“ Er wandte sich zur Mutter und gab ihr folgenden Rat: „Nimm einen Weidenzweig und forme damit den heiligen Kreis. Darin webe das Netz des Lebens. In der Mitte lasse eine Öffnung. An den Seiten und in der Mitte unten befestige Pendel mit Federn. Dann werden die bösen Träume in dem Netz des Lebens gefangen und die guten werden den Weg durch die Öffnung finden und über die Pendel auf den Schlafenden gleiten. Die bösen Träume werden über Nacht im Netz gehalten und müssen dann dem Morgenlicht weichen.“ Die Mutter tat, wie ihr vom Medizinmann geheißen und fertigte einen Traumfänger an. Diesen hängte sie über die Schlafstelle ihres Jungen. Von da an schlief Kleine Feder tief und ruhig, begleitet von guten und schönen Träumen.
