No7 Es ist besser, ein Licht anzuzünden, als über die Dunkelheit zu klagen

Sie waren eineiige Zwillinge und dennoch so verschieden. Amelie wurde nur zehn Minuten später als Emma geboren und galt fortan als die Jüngere. Auch wenn Amelie in der Schule stets die Schlechtere war, hatte sie immer die bessere Laune und nahm das Leben unbeschwert. Während ihre Schwester ganz vergnügt im Regen tanzte und mit beiden Füßen in die Pfützen sprang, lugte Emma hinter den Vorhängen hervor, hauchte die Fensterscheibe an und malte in die Kreise traurige Gesichter.

Als die Zwillinge – mittlerweile 14 Jahre alt – an einem Novembertag auf ihrem Weg von der Klavierstunde nach Hause eine Abkürzung durch den Wald nahmen, trat Amelie so in die Pedale, dass sie Emma bereits nach der ersten Abzweigung abgehängt hatte. Diese folgte besorgt der Fahrradspur ihrer Schwester im Schnee, denn hier war sie zuvor noch nie gewesen. Hätte nicht der Schnee den Rest des Tageslichtes reflektiert, hätte sie nichts mehr erkennen können. Vor ihr lag plötzlich eine kleine Hütte. Dort endete auch die Fahrradspur. Doch wo war Amelie? Das Herz schlug Emma bis zum Hals, als sie die knarrende Türe öffnete. Es war stockfinster und still in der Hütte, nur die alten Holzlatten ächzten. Plötzlich flackerte im Dunkel eine Kerze auf. Emma erkannte Amelie, die lächelnd in der Ecke saß und sie zu sich herüberwinkte. Amelie hatte einen Teller mit leckeren Lebkuchen vorbereitet und heißer Tee dampfte aus zwei Tassen. Mit den Worten „Das ist für dich, liebe Emma!“ schob sie ihr ein Geschenk zu. Zaghaft öffnete Emma das Paket – es war ein wunderschön gebundenes Tagebuch aus Büttenpapier. Auf der ersten Seite stand: „Es ist besser, ein Licht anzuzünden, als über die Dunkelheit zu klagen. Wähle nun Deine Einstellung, liebe Emma!“

So einfach sollte es also sein, das Geheimnis von Amelies stetig guter Laune? „Ja, so einfach ist es“, versicherte Amelie ihrer Schwester. Allein bei ihr läge schließlich die Entscheidung, ob sie heute gut oder schlecht gelaunt sein wollte. Emma kullerten dicke Tränen über das Gesicht. Sie umarmte ihre kleine Schwester, die so viel menschliche Größe in sich trug und sagte: „Ja, Amelie, es ist besser, eine Kerze anzuzünden, als über die Dunkelheit zu klagen“. Sie tranken noch gemütlich ihren Tee aus und auf dem Heimweg erzählte ihr Amelie, was es mit der geheimnisvollen Hütte auf sich hatte. Emma nahm sich fest vor, von nun an jeden Tag ihre Einstellung aufs Neue zu wählen. Und sollte es ihr mal schlechter gehen, würde sie ihr neues Tagebuch zur Hand nehmen, eine Kerze anzünden und sich freuen, dass nur einer ihre Laune bestimmen konnte: sie selbst.

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