No1 Eine beflügelnde Weihnachtsgeschichte

Draußen fielen dicke Schneeflocken vom Himmel und legten sich wie ein weißes Tuch über die Wiesen, Felder und Wälder. Im Schutze einer dicken Buche schlummerte Nehil, eine kleine Biene, tief im Winterschlaf. Während sie ruhig auf einer Decke aus Blättern lag, schwebte sie im Traum quicklebendig zurück an den Ort, an dem sie ihr aufregendstes Erlebnis des Jahres hatte.

Jeden Morgen flogen die Bienen pünktlich aus und sammelten eifrig ihren Honig. Für einen Fingerhut voll Honig mussten sie tausend Flüge zurücklegen. Das schien sie jedoch nicht zu kümmern. Unermüdlich schwärmten sie jeden Tag wieder aus, um den Nektar aus den Blütenkelchen der Blumen zu saugen. Nur Nehil, eine kleine, pfiffige Biene aus einer großen Familie mit sieben Geschwistern, hatte an diesem sonnigen Morgen keine Lust mehr, mühsam den Nektar zu sammeln, den ihr der Imker, ihrer Meinung nach, sowieso nur wieder stehlen würde. Die ersten Meter flog sie mit dem Bienenschwarm aus, doch kurz vor der Blumenwiese, die sie nun seit einer Woche besuchte, bog sie rechts in einen saftig grünen Blätterwald ab. Und während ihre Eltern, Geschwister und Freunde eifrig Nektar sammelten, lag Nehil genüsslich auf einer Wildrosenblüte und beobachtete das Gras, wie es sich gemächlich im Wind wiegte. Als dann die Sonne langsam am Horizont versank, plagte Nehil das schlechte Gewissen. Wie sollte sie erklären, dass sie keine Lust mehr hatte, zu arbeiten? So flog sie schweren Herzens zurück zum Bienenstock. Dort erwartete sie bereits mit grimmigem Gesicht ihr Vater. Er empfing sie energisch mit den Worten: „Wo warst Du Nehil? Wir müssen gleich zur Königin!“

Noch ehe sie antworten konnte, packte sie ihr Vater an einem ihrer Flügel und zerrte sie zum Palast der Königin. „Warum, kleine Nehil, hast Du Dich denn heute vor der Arbeit gedrückt?“, fragte diese ruhig und besonnen. „Ach, das macht doch alles keinen Sinn. Wofür soll ich denn sammeln? Der Imker holt sich den Honig ja eh wieder!“, entgegnete Nehil. Daraufhin wandte sich die Königin an Nehils Vater: „Haben Sie dem Mädchen nie erklärt, wofür sie eigentlich arbeitet?“, fragte sie erbost. „Doch, eigentlich schon. Ich weiß es aber selbst nicht mehr so genau, nach all den Jahren in diesem großen Bienenstock, wo jeder nur eine kleine Aufgabe hat. Ich habe ihr gesagt: Weil wir arbeiten müssen, um zu überleben, und weil alle es tun!“, entgegnete er demütig.

„Das ist einfach zu wenig“, winkte die Königin ab und fuhr fort: „Nehil, meine Untertanen bringen den Nektar in die Waben. Dort wird er gelagert, um die kleinen Larven, die aus meinen gelegten Eiern geschlüpft sind, zu ernähren. Diese erwachsen damit zu kleinen Bienen – wie Du eine bist! Auch Du, Nehil, hast Dich von diesem Nektar ernährt, als Du noch ganz klein warst. Wer Nektar sammelt, erschafft neues Leben“, erklärte die Königin. Nehil sah sie zuerst mit großen Augen an und senkte dann ihren Blick beschämt zu Boden. „Das wusste ich nicht“, entschuldigte sich die kleine Biene leise. Sie versprach: „Ab morgen werde ich wieder fleißig sammeln, auch wenn der Imker sich wieder bedient.“

Die Königin lächelte und erwiderte ihr sanftmütig: „Nehil, der Imker nimmt sich doch nur, was wir nicht brauchen. Er gewinnt dadurch gesunden Honig für die Menschen – so tut auch er Gutes! Aus den Waben macht er Honigkerzen. Diese duften dann herrlich zu Weihnachten und bringen sogar traurige Kinderaugen wieder zum Leuchten!“

UNSERE WEIHNACHTSGESCHICHTEN

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